Dr. Ulrich Hildenbrand – Patientenverfügung
PN: Herr Dr. Hildenbrand, was hat Sie dazu bewogen, sich dem Thema Patientenverfügung intensiv zu widmen?
„Der Auslöser liegt weit zurück, nämlich in meiner Studienzeit. Ich habe in Würzburg Humanmedizin studiert und war gleichzeitig als Rettungssanitäter tätig. Als ich einmal in der Klinik Nachtdienst hatte wurde ein Mann mittleren Alters im Krebsendstadium eingeliefert, dem es sehr schlecht ging. Der Nachtdienst bat gerufen zu werden, wenn die Sterbephase eintritt, doch dann erfolgte ein Schichtwechsel und die Ärztin, die übernommen hatte, überprüfte die Akte und befand den Mann zu jung zum Sterben. Somit wurde er intensivmedizinisch behandelt. Das war ein einschneidiges Erlebnis für mich, das mich bewog darüber nachzudenken, wie sinnvoll solche Handlungen tatsächlich sind und wann es eventuell einer Entscheidung bedarf, nicht die maximale Versorgung anzuwenden.“
„Sie sind doch Notarzt – Sie haben die Pflicht, zu reanimieren!“
„Dieses Zitat hallte noch lange in mir nach. Meine Frage an den Kollegen war, was getan werden sollte, falls bei einer Verlegung eines Patienten, bei dem eine dauerhafte Hirnschädigung seit über einem Jahr vorlag, ein Herzstillstand auftrete.
Dazu habe ich persönlich jedoch eine andere Meinung: Kann ich dem Patienten bei einer Reanimierung wirklich helfen? Möchte dies der Patient selbst oder sind es eher die Angehörigen? Profitiert der Patient von solchen medizinischen Maßnahmen? Ausgehend von dieser Basis habe ich vor 20 Jahren meine eigene Patientenverfügung erstellt, die damals allerdings noch sehr medizinisch ausgerichtet war.“
PN: Wie kamen Sie dazu, dieses Modell einer breiteren Öffentlichkeit zukommen zu lassen?
„Ich wurde vom Rettungsdienst angesprochen, ob ich meine Erfahrung als Anästhesist und erfahrener Mediziner und Notfallarzt nicht mehr Menschen zugänglich machen wolle. Ich fand das eine gute Idee, da es zu diesem Zeitpunkt keine sinnvolle Patientenverfügung gab. Darunter verstehe ich, dass man einerseits die moderne Intensivmedizin zulässt, wenn es sinnvoll ist, aber sie ausschließt, wenn sie keinen Sinn macht. Da sich aber heutzutage auch die Medizin in rasender Geschwindigkeit weiterentwickelt ist es wichtig, sich diesem Unterfangen zu widmen, wenn man den Beruf auch weiterhin ausübt. Daher sehe ich diese Tätigkeit als eine Ergänzung zu meinem eigentlichen Beruf als Anästhesist und Notfallmediziner“
PN: Wie wichtig finden Sie eine Patientenverfügung?
„Sehen Sie, ich glaube die moderne Medizin entwickelt sich durch die zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung gerade in eine falsche Richtung. Darunter fällt auch das Thema ‚Intensivtherapie‘ im Alter. Häufig werden medizinisch unsinnige und zu hinterfragende Therapien, vor allem aus menschlicher Sicht, zur Gewinnoptimierung vorgenommen.
Deshalb gehen wir dieses Thema erst einmal sehr grundlegend an. Falls jemand an einer Patientenverfügung interessiert ist, kann er sich an uns wenden und bekommt er von uns Informationen über den Ablauf der Erstellung. Die einzelnen Schritte werden in einer Broschüre aufgeführt und erklärt. Dann kann sich der Interessent einen Katalog zuschicken lassen, in dem alle Begriffe ausführlich erklärt sind, die man verstehen sollte. Zum Thema Patientenverfügung gehören nämlich auch das Thema Vorsorgevollmacht und Betreuung. Oftmals werden diese Begriffe noch durcheinandergeworfen und miteinander verwechselt.“
PN: Wie geht es nach der Kontaktaufnahme weiter?
„Der Kunde bekommt Fallbeispiele vorgelegt. Hinter jedem dieser Beispiele steht ein erlebtes menschliches Schicksal und der Kunde ist dazu angehalten, sich in die beschriebenen Situationen hineinzuversetzen. Dafür gibt es immer zwei Perspektiven, die vorgegeben werden: Einen Arzt, der die Ansicht eines Sterbebegleiters vertritt und einen Arzt, der die Ansicht vertritt, dass eine Maximaltherapie angewendet werden soll. Es dauert im Schnitt 2-3 Monate, bis solch eine Patientenverfügung steht.“
PN: Können sich Ihre Kunden immer in solche Situationen hineinversetzen? Ich stelle mir dies sehr schwierig vor.
„Das stimmt. Doch ich versuche die Menschen dort abzuholen, wo es für sie einfacher ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man selbst sich nicht in die Situation versetzen kann, müsste es der Partner oder die Angehörigen tun und das wollen die Wenigsten ihren Liebsten antun. Natürlich ist es schwer, denn sich mit dem eigenen Sterben auseinanderzusetzen ist nicht einfach. Doch, wenn man es einmal gemacht hat, dann ist man ruhiger und hat weniger Angst vor einem eventuell schleichenden Tod.“
PN: Halten Ihre Patientenverfügungen der Gerichtsbarkeit in Deutschland stand?
„Mein Neffe hat sich vor kurzem eine Patientenverfügung aus dem Internet heruntergeladen. Wenn ich so etwas in die Hand bekommen würde, würde ich sie als Arzt hinterfragen. Wenn jedoch eine Patientenverfügung von einem Arzt gründlich durchdacht und verfasst ist, sieht es anders aus. Die Krankenhäuser haben meine Verfügung noch nie hinterfragt. Außerdem sind sie von einigen meiner Kollegen gegengelesen und kommentiert worden. Demnach halten sie auch den Gerichten stand, wie z.B. dem Amtsgericht, Oberlandesgericht und BGH.“
PN: Was hat Sie dazu bewogen, bei uns Mitglied zu werden?
„Die Idee des Vernetzens und des gemeinsamen Handels finde ich spannend und freue mich auch auf die Ideen der Netzwerkpartner“.
Wir freuen uns besonders über einen sehr kompetenten und angenehmen Mediziner, der sich nicht scheut, Unangenehmes an- und auszusprechen und dem das Thema Patientenverfügung sehr am Herzen liegt.